Jetzt wird es bitter!

Stets sind wir auf der Suche nach dem Geschmack. Wir essen, trinken, kosten, riechen, und beschreiben diese Eindrücke, unser Schmecken, auch oft emotional und nicht analytisch.

Die geschmackliche Wahrnehmung ist schon vorkindlich angelegt und nachweislich von Mensch zu Mensch verschieden. Sie erweitert sich im Laufe der Zeit über eine ganze Reihe erfahrungsbezogener Eindrücke. Ich bezeichne dies als eine durch geschmackliche Erfahrungen aufgefüllte Determinante, die von sehr vielen Einflussfaktoren abhängig ist.

Diese aus der Erinnerung abrufbare Determinante prägt auch unsere individuelles Schmecken und unsere Wahrnehmung der Grundgeschmacksrichtungen, die laut allgemein gültiger Definition in folgende Kategorien unterschieden werden: salzig, süß, sauer, bitter und umami.

Bitterstoffe in der Historie

Unsere frühesten Vorfahren ernährten sich zu nicht unwesentlichen Anteilen von Pflanzen und deren Früchten und verließen sich bei der Wahl ihrer Nahrung im Wesentlichen auf die Eindrücke ihrer Zunge.

Bitterstoffe sind die Lebensversicherung der Pflanze gegen Fressfeinde und sichern ihren Fortbestand – im Gegenzug dazu war „bitter“ ein wichtiger Hinweis auf die Bekömmlichkeit für den zeitgeschichtlich jungen Menschen.

Stand dieser Mensch beispielsweise vor einer Eibe, war es dringend geboten, das Geschmacksmuster dieses Baumes auszuwerten sowie sich die üblen Wirkungen nach dem Verzehr der roten leuchtenden Beeren zu merken. Die Kelten, die ein sehr tiefgehendes Verhältnis zu ihrer umgebenden Natur hatten, haben diesen „Baum des Todes“ als Druidenbaum verehrt. Das extrem langsam wachsende, sogenannte Bogenholz der Eibe hat als Speer schon den im Gebirge gescheiterten Ötzi begleitet.

Doch aus der Ernährung verbannte der bewusste Mensch diese Pflanze dank seiner Zunge, vermerkte jedoch auch ihre Wirkungen, die in späteren Zeiten dazu führten, dass Essenzen davon in die Medizin Einzug hielten. Wie muss es einem frühen Beobachter im Wald vorgekommen sein, wenn er das Reh dabei beobachtete, wie es genüsslich die jungen Triebe der Eibe fraß? Er konnte noch nicht wissen, dass der Magen dieses Wiederkäuers, die Eibe zu einer Delikatesse verwandelt und vortrefflich verwerten kann.

Mit dem Ackerbau begann der Mensch später, aus Wildpflanzen auf der einen Seite unser heutiges Gemüse zu selektieren, auf der anderen Seite aber auch alle Gewürz- und Heilpflanzen. Bei dieser Arbeit ist ihm „bitter“ ein elementares Entscheidungskriterium gewesen, weshalb diese Kategorie heute wohl eine der Säulen unseres Geschmacks darstellt.

Die Entwicklung der Getränkekulturen, ganz besonders die Bereitung von Tee und die Entdeckung seiner anregenden, aber auch beruhigenden Wirkung, schuf Zugang zu einem komplexen Gebilde von Gerb- und Bitterstoffen, die unsere Ernährung schon über Jahrhunderte begleiten. In der frühen Medizin spielten Bitterstoffe eine herausragende Rolle, im Besonderen bei der Verdauung. Dem Darm galt von Anfang an höchste Aufmerksamkeit.

Bitterstoffe in der Gegenwart

„Bitter für alle, die es mit Königsblau halten.“ Solche Sätze, die vordergründig erst mal nur von Interesse für die aktuellen Ergebnisse der Fußballbundesliga scheinen, deuten auch auf eine negative Konnotation des Begriffs hin, die tiefer geht.

Die moderne Entwicklung der Lebensmittelindustrie ist im Wesentlichen der süße & salzige Weichspülgang für die Zunge: Viel verarbeiteter Zucker (in Limonaden, Gebäck, Wurst), viele Kohlenhydrate (Weißmehlprodukte und stärkehaltige Beilagen aller Art), viel Fruktose und dazu noch die Welt der Fertiggerichte - die unserer Meinung nach komplett und ordentlich versalzen sind.

Und all das, ohne wirklich auf die Jagd gehen zu müssen, weil wir am Schreibtisch vor dem Laptop sitzen … wer hat sich das nur ausgedacht?

Und obwohl immer weniger „bitter“ auf der Zunge stattfindet, behaupten wir immer häufiger im Gegenzug, dass „bitter“ uns in unserer Ernährungssituation wohl mehr als nur Gutes tun kann.

Bitterstoffe und Wein

Alle Weine, die auf der Maische vergoren werden, extrahieren aus der Traubenhaut in der beginnenden Fermentation Bitterstoffe.

Noch mehr Bitterstoff im Wein wird möglich, wenn ein Anteil der vergorenen Trauben nicht entrappt wird, wir sagen gern mit „Strunk und Stiel“ vergoren. Dafür finden Weinfachleute nun auch ein neues Vokabular. Es wird von Gripp, Struktur und zupackenden Eindrücken gesprochen und geschrieben.

Diese bitteren Noten, die sich gern auch im hinteren Bereich der Zunge schmecken lassen, haben jedoch nichts mit lähmenden oder betäubenden Eindrücken zu tun – ganz im Gegenteil.

Eine sehr schöne „Bitterkomposition“ ist der alkoholfreie Aperitif aus der Manufaktur Jörg Geiger. Diese Spezialisten für Streuobstwiesen haben noch gute Bestände der Sorte „Grüne Jagdbirne“, die nicht zu spät geerntet, einen gerbstoffreichen Most hervorbringt. Natürlich abgerundet mit feinen Aromen von Orangen, Akazien und Holunderblüten, bringen Scharfgarbe und Wermut Struktur und feinste Bitterkeit.

Mit Alkohol sind es vor allem die naturnahen und mutig gekelterten Weine, die diese Stilistik aufweisen.

Auch in allen Naturweinen der Serie OBVIUS vom ökologischen Weingut Salcheto finden sich diese bitteren, aber gut eingebundenen Aromen. Beim OBVIUS Bianco sind es eher fermentierte Klänge, beim Rosato kommen sie vielmehr vom Most und im Rosso finden wir feingliedrige, auf der Mittelzunge verankerte Tannine sowie ein gutes, bitteres Gerbstoffgerüst.

Nehmen wir aus Deutschland noch den Silvaner Anarchie von Laura Seufert dazu: viel Gripp und Struktur gerade im hinteren Zungenbereich. Das Trinkgefühl erinnert bei diesem Naturwein eher an einen Rotwein mit feinen Gerbstoffen auf der Mittelzunge. T

rotz seiner ungestümen Haltung bleibt dieser Silvaner aber auch sehr elegant und besitzt einen sehr guten Trinkfluss.

 

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